Marcus VITRUVIUS Pollio: Zehn Bücher über Architektur. Übersetzt und erläutert von Jakob PRESTEL. (Erste Ausgabe in vier Bänden: Straßburg 1912-1914.) Neudruck 1974, 3. Auflage. xviii, 604, (126) Seiten, 72 Tafeln. € 40-- ISBN 978-3-87320-801-8

Vitruvs Die Zehn Bücher über Architektur (De architectura libri decem) ist das erste umfassende Werk über Architektur, Technik, Infrastruktur und Stilkunde und heute die einzige vollständige Darstellung antiker Architekturtheorie. Die durch das plötzliche Aufblühen und die Erweiterung der Städte übereilte Bautätigkeit um die Mitte des vorchristlichen Jahrhunderts hatte neben Bauspekulationen auch leichtfertige Bauweise und eiliges Halbwissen bei den Architekten erzeugt, wodurch Unkenntnis und Verwechslung nicht nur bei der Anwendung verschiedener Stilelemente, sondern auch Verwirrung bei der Verwendung der verschiedenen Baustoffe zu beklagen waren. Dem stellte Marcus Vitruvius Pollio sein enzyklopädisches Werk über die Grundlagen der Bauwissenschaft entgegen. Dabei handelt es sich hierbei nicht um ein reines Lehrwerk für Architekten und Ingenieure, vielmehr soll es als Nachschlagewerk für projektierte Bauten, aber auch zur Einschätzung von Bauschäden dienen.

Der Inhalt des Werkes ist daher didaktisch in zehn Bücher aufgeteilt, die wieder durch Kapitel genau abgegrenzter Gewerke unterteilt sind:

Das erste Buch befasst sich mit dem Wesen der Architektur, mit der Ausbildung zum Architekten und das Städtebau.
Das zweite befasst sich nach einem Exkurs über die Geschichte des Bauens mit den Baumaterialien an sich, es enthält die Baustoffkunde.
Das dritte und vierte Buch beschäftigt sich mit dem Tempelbau, wobei das dritte mehr auf die Anlage, das vierte mehr auf die Ausführung und Ausrüstung der Tempel zielt.
Im fünften Buch befasst sich Vitruv mit Profanbauten, allem voran öffentlichen Gebäuden. Wohnbauten werden im sechsten Buch behandelt.
Das siebente Buch gibt wieder über Materialkunde Auskunft, diesmal eher für den Innenausbau: Dekoration und Farben.
Das achte Buch beschreibt die Wasserversorgung vom Finden einer Quelle bis hin zu Wasserleitungen und dem Prüfen der Güte des Wassers.
Das neunte Buch verlässt die Architektur an sich und widmet der Astronomie zur Einschätzung der Besonnung sowie zur Voraussage der Witterung bis hin zur Herstellung und dem Gebrauch von Wasseruhren.
Auch das zehnte Buch widmet sich der Mechanik und damit den Hilfsmitteln der Architektur, aber auch Maschinen zur Kriegsführung.

Nicht nur die Erfahrung eigenen langjährigen Wirkens als Architekt, sondern auch das Studium vieler Quellen machen die Zehn Bücher zu einem umfassenden Werk mit universalem Charakter. Dass Vitruv seine Quellen nennt, macht die Publikation zum wissenschaftlichen Werk, das nicht nur zur Römerzeit zum Architekturstudium, der Stilkunde und der Mechanik herangezogen wurde. Übersetzungen ermöglichte die Verbreitung in viele Länder, wo es im Mittelalter durch Klöster kopiert wurde. In der Renaissance bildeten die Zehn Bücher für Theoretiker und Künstler die Grundlage ihrer archäologischen Forschung, im 16. Jahrhundert wurde die vitruvianische Akademie ins Leben gerufen - in jeder Epoche entstanden neue Ausgaben mitsamt den jüngeren Kommentaren. Auch heute noch ist die Lektüre Vitruvs Bestandteil des Architekturstudiums.

Siehe auch
Mariano Taccola: De rebus militaribus (De machinis, 1449)
Manfred LURKER: Symbol, Mythos und Legende in der Kunst. Die symbolische Aussage in Malerei, Plastik und Architektur.