SAECVLA SPIRITALIA   54

Dieter WUTTKE: transdisziplinär. Rezensionen 1960 bis 2021. Herausgegeben von Petra Schöner. 2022. xxx, 622 Seiten, 8 sw, 4 farbige Abbildungen. ISBN 978-3-87320-454-6

Transdisziplinarität ist seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Trendbegriff im Hochschulbetrieb und den Kultusministerien. Die historisch gewachsenen Disziplinen zerfielen in dieser Zeit angesichts des Drucks auf die Hochschulen in immer kleinere, für solide wissenschaftliche Ausbildung und eigenständige Forschung kaum noch tragfähige Teile. Der Wissenschaftstheoretiker und Philosoph Jürgen Mittelstraß, der den Begriff Transdisziplinarität erstmals 1986 ins Gespräch brachte, sah im Zusammenwirken der Disziplinen nicht nur die Chance, der fachlichen Engführung in den Universitäten entgegenwirken, sondern auch die Gelegenheit, sich im Sinne der vielbeschworenen Wissensgesellschaft den Problemen der Zukunft zu stellen. Dazu würden, so Mittelstraß, gelegentliche Berührungen zwischen den Disziplinen nicht ausreichen, nur dauerhafte und entschiedene Grenzüberschreitungen würden die Weiterentwicklung der Hochschulforschung gewährleisten.

Solche Grenzüberschreitungen interessieren im Zusammenhang mit dem Band, der 487 Rezensionen von Dieter Wuttke zusammenstellt. Der Autor hat sein forschendes Leben lang der Rezensionstätigkeit breiten Raum eingeräumt, weshalb man aus seinen Rezensionen Vieles über Zustand und Entwicklungen der geisteswissenschaftlichen Disziplinen erfahren kann. Dabei blieb Wuttke nicht bei seiner wissenschaftlichen 'Heimat', der Philologie, stehen, sondern bezog Klassische Altertumswissenschaft, Geschichte der Naturwissenschaften, Sprachwissenschaft, Sozialgeschichte, Editionswissenschaft, Bildungsgeschichte, Volkskunde, Kunstgeschichte — also Kulturgeschichte in ihrem ganzen Facettenreichtum von der Antike bis ins Heute mit in sein Beobachtungsfeld ein. Ganz praxisbezogen und lange bevor der Begriff hochschulpolitisch wirksam wurde, wirkte er bereits als transdisziplinärer Wissenschaftler, bemühte er sich darum, das — wie man heute sagen würde — 'Silodenken' in den Disziplinen zu überwinden.

Diese gelebte Transdisziplinarität ist ein Kernbestandteil seiner Rezensionen mit dem Ziel, die verschiedenen Fächer miteinander, aber auch die Wissenschaft mit der Gesellschaft wie auch mit den Künsten, die ihre eigene Form der Forschung haben, in Dialog treten zu lassen, um auf allen Seiten der Grenzzäune Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und zur Zusammenarbeit auszuloten.

Der Band bietet dem forschungs- und methodengeschichtlich Interessierten reiches Material zur Entwicklung der Geisteswissenschaften und ihrer Stellung innerhalb der Hochschulen und der Gesellschaft. Dabei dienen verschiedene Verzeichnisse und ein umfangreiches Register der Namen und Sachen der Erschließung des Inhalts.

Der Philologe, Kultur- und Kunstwissenschaftler Dieter Wuttke, geboren 1929, lebt und arbeitet seit 1979 in Bamberg nach Stationen in Bremen, Bonn und Göttingen. Vortrags- und Forschungsreisen führten ihn quer durch Europa und die USA, spezielle Gastaufenthalte nach Hannover, Hamburg, London, Prag, Princeton, Washington, Santa Monica, Los Angeles, Cambridge (GB) und Viseu. Im Verlag Valentin Koerner gibt er seit 1979 die kulturwissenschaftliche Reihe saecvla spiritalia heraus.

Ausserdem von Dieter Wuttke:
Im Fokus: Warburg und Warburg-Kreis. Beiträge1966-2019.
Fokus Panofsky. Beiträge zu Leben und Werk von Erwin Panofsky.
Aby M. Warburg Bibliographie 1866-1995, Werk und Wirkung.
mit Björn Biester: Aby M. Warburg Bibliographie 1996 bis 2005.
Aby M. Warburg. Ausgewählte Schriften und Würdigungen.
Kosmopolis der Wissenschaft. E. R. Curtius und das Warburg Institute
Sebastian Brant: Das Narrenschiff.
From Wolfram and Petrarch to Goethe and Grass. Studies in Literature in Honour of Leonard Forster.

sowie
Poesis und Pictura. Studien zum Verhältnis von Text und Bild in Handschriften und alten Drucken. Festschrift für Dieter Wuttke
ARTIUM CONJUNCTIO. Kulturwissenschaft und Frühneuzeit-Forschung. Aufsätze für Dieter Wuttke.

siehe ebenso:
Petra Schöner: Judenbilder im deutschen Einblattdruck der Renaissance: ein Beitrag zur Imagologie.

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