SAECVLA SPIRITALIA   49


Ernst Robert CURTIUS, Briefe aus einem halben Jahrhundert. Eine Auswahl. Herausgegeben und kommentiert von Frank-Rutger HAUSMANN.
2015. 692 Seiten, 32 Abbildungen. ISBN 978-3-87320-449-2

Der bis zu seiner Emeritierung 1951 in Bonn lehrende Romanist Ernst Robert Curtius (1886-1956) gilt bis heute im In- und Ausland als einer der bedeutendsten Vertreter seiner Disziplin. Er ist nicht nur Spezialisten bekannt, da sein Name durch den 1984 gestifteten «Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik» in der Öffentlichkeit fortlebt. Als geborener Elsässer und Weltkriegsoffizier spielte Curtius nach 1918 eine wichtige Rolle im deutsch-französischen Versöhnungsdiskurs. Enttäuscht über dessen langsame Fortschritte wandte er sich mit Beginn der dreißiger Jahre von der französischen Gegenwartsliteratur und der Förderung der deutsch-französischen Beziehungen ab und stattdessen der Erforschung des europäischen Mittelalters zu, wovon mehrere Aufsätze Zeugnis ablegen, die als Vorstufen für sein bis heute bekanntestes Buch Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1948; 1954 u.ö.) betrachtet werden können.
Die kritische Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten begann bereits 1912 und dauert bis heute an, so dass man inzwischen von einer über einhundertjährigen Rezeption sprechen kann. Curtius war nicht nur Hochschullehrer und Literaturhistoriker, sondern auch Essayist, Pamphletist, Übersetzer, Kritiker und Journalist und beschränkte sich keineswegs auf die französische Literatur. Hervorzuheben sind z.B. seine Arbeiten zu Joyce, T.S. Eliot oder José Ortega y Gasset, Autoren, mit denen er auch korrespondierte.
Erstaunlicherweise ist jedoch seine umfangreiche Korrespondenz bisher noch nicht gründlich untersucht worden. Für die vorliegende Edition wurden über 3.500 Briefe an Verwandte, Freunde, Weggefährten, Gelehrte, Schriftsteller (darunter sechs Nobelpreisträger) und Verleger aus elf Ländern zusammengetragen und in einer 350 Stücke umfassenden repräsentativen Auswahl veröffentlicht und kommentiert. Sie liefern nicht nur wichtige und bisher unbekannte Informationen zu Leben und Werk des bedeutenden Romanisten, sondern erweisen sich auch als Experimentierfeld seiner intellektuellen Entwicklung und können zugleich als eine Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelesen werden.

Inhaltsverzeichnis (pdf durch die Deutsche Nationalbibliothek.)

»Ein beeindruckendes Epochendokument: Curtius kannte das intellektuelle Europa seiner Zeit persönlich und tanzte mühelos auf dem gesellschaftlichen Parkett.[...] In all das führt der Herausgeber sachkundig ein. Sein Kommentar liefert eine Fülle an Informationen, beweist beeindruckendes Sachwissen und ausgewogenes Urteil [...] wissenschaftlich eminent verdienstvoll.«
Niklas Bender in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
am Dienstag, 18. August 2015.

»Hausmann hat mit seinen vorbildlich kommentierten Editionen die Curtius-Forschung auf eine neue Grundlage gestellt.«
Stefan Rebenich in der Neuen Zürcher Zeitung
am Mittwoch, 23. September 2015.

»Die 350 chronologisch angeordneten, den Zeitrahmen von 1902 bis 1955 umspannenden Briefe und die penibel recherchierten, überaus informativen und vertiefenden Kommentare von Hausmann zu jedem einzelnen Brief ergeben eine intellektuelle Biographie des Hochschullehrers, des Gelehrten, des Publizisten und vor allem der Privatperson Ernst Robert Curtius. [...]
Von den 350 abgedruckten und kommentierten Briefen sind 37 von Curtius auf Französisch, 14 auf Englisch und zwei in Sprachmischung verfasst. Die 37 französischsprachigen Briefe werden sowohl im Original als auch in der deutschen Übersetzung Hausmanns abgedruckt. Die englischsprachigen Briefe werden nur im Original abgedruckt. In seinen Kommentaren zu den einzelnen Briefen fasst Hausmann diese kurz zusammen, informiert über den jeweiligen Adressaten und breitet beeindruckendes Hintergrundwissen aus.
Ergänzt wird das umfangreiche Briefkonvolut durch zwei Anhänge, die bisher unveröffentlichten Curtius-Texte
Denkschrift für meine Freunde (1929) und Portugalreise 1935. Zu erwähnen sind nicht zuletzt die interessanten historischen Fotos und Illustrationen, die zu einem Großteil erstmals veröffentlicht werden.«
Horst Schmidt in Dokumente/Documents 2/2015,

»Frank-Rutger Hausmann schätzt die Zahl der von ihm geschriebenen Briefe auf 10–15000, von denen er 3600 ermittelt hat. Zwar sind seit 1963 Curtius-Briefwechsel mit einzelnen Korrespondenten erschienen, doch kam das vor 25 Jahren begonnene Projekt einer siebenbändigen Curtius-Korrespondenz nicht über das Planungsstadium hinaus. Umso verdienstvoller ist es, dass Frank-Rutger Hausmann ein Zehntel (S. 350) der ihm zur Verfügung stehenden Curtius-Briefe ausgewählt und unter dem Titel Briefe aus einem halben Jahrhundert veröffentlicht hat. Die Kriterien für die Auswahl werden überzeugend dargelegt.
Die 350 Briefe an 180 Adressaten sind aufschlussreich für Curtius’ Werdegang und seine Netzwerke, vor den Augen der Leser entsteht eine intellektuelle Biographie des Briefschreibers. Von fast unschätzbarem Wert sind dabei die ausführlichen und differenzierten Kommentare, die den einzelnen Briefen beigegeben sind und die nicht nur über den Umfang der jeweiligen Korrespondenz und die Korrespondenten informieren, sondern auch den Zusammenhang des jeweiligen Briefes mit den Arbeiten und Auffassungen von Curtius, mit dem betreffenden wissenschaftlichen oder intellektuellen Milieu und dem (kultur-)politischen Umfeld erläutern. Dabei kann Hausmann umfassend auf seine Arbeiten zu den Geisteswissenschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgreifen, so dass seine oft umfänglichen Kommentare ihrerseits eine „Dokumentation europäischer Geistesgeschichte“ bilden. [...]
Die immer extrem umsichtig und umfassend den literarisch- kulturell-politischen Kontext der einzelnen Briefe, ihrer Adressaten und ihrer historischen Situation rekonstruierenden Kommentare des Herausgebers lassen uns die Historizität Curtius’ besser verstehen.«

Wolfgang Asholt in Arbitrium 21/2016

»Der vorliegende Band bietet nun eine Auswahl aus dem mehrere Tausend Briefe umfassenden Briefwerk von Curtius, indem Briefe von Curtius an 180 verschiedene Adressaten abgedruckt werden, dies aber ohne Gegenbriefe. Insgesamt entsteht zusammen mit den Kommentaren das Bild einer intellektuellen Biographie von Curtius, die faszinierend zu lesen ist und viele Querverbindungen zum geistigen und kulturellen Leben seiner Zeit erschließt. Die Erfassung der vielen Briefe, die im Rahmen der Edition aufgesucht und erschlossen werden mußten, war auch insofern ertragreich, als Hausmann m Kommentarteil wichtige ergänzende Informationen aus nicht abgedruckten Briefen oder Gegenbriefen mitteilt. [...]
Im Anhang werden ergänzend Texte mitgeteilt, die für Curtius' Werdegang aufschlußreich sind, nämlich zwei Rundschreiben an die Freunde, im Zusammenhang mit Curtius' Berufung nach Bonn und den damit verbundenen Plänen, sich intensiv den Frankreichstudien zu widmen. Insbesondere die Notwendigkeit umfangreicher Bücheranschaffungen und einer guten Bibliothekskraft werden hier besonders hervorgehoben, was unter den damals obwaltenden finanziellen Bedingungen nicht gerade selbstverständlich sein konnte. Ein weiterer interessanter Text ist ein Reisebericht über Portugal, wo Curtius 1935 zur Teilnahme an den Lissabonner Festwochen hingefahren war (er traf dort als weiteren deutschen Vertreter den damaligen Präsidenten der Reichsschrifttumskammer Hans Friedrich Blunck, der übrigens im selben Jahr sein Amt verlor, „weil er sich für den Verbleib jüdischer Schriftsteller in der Kammer eingesetzt hatte“; S. 326).
Der Band enthält eine Liste der Adressaten, einen tabellarischen Lebenslauf von Curtius, eine Bibliographie, ein Namens- sowie ein Sachregister (in dem auch Ortsnamen verzeichnet sind) und ist damit rundum ein vorbildliches Informationsmittel, das in vieler Hinsicht anregend für die weitere Erforschung der Romanistik im vergangenen Jahrhundert sein wird.
Die nicht leicht auszuschöpfende Informationsfülle des Bandes macht ihn zu einer Fundgrube für Philologen, Wissenschafts- und Universitätshistoriker, die zweifellos ihre eigenen Querverbindungen anstellen und den Band zu ganz unterschiedlichen Zwecken immer wieder konsultieren werden. Das Buch sollte daher in keiner wissenschaftlichen Bibliothek fehlen.«

Till Kinzel in Informationsmittel (IFB)

«Le romaniste de Fribourg en Brisgau est précisément l’éditeur scientifique de ces lettres de Curtius, et il faut lui rendre un hommage appuyé. Il confirme les qualités de ses livres précédents et s’avère par son sérieux de chercheur et son érudition digne de son objet d’étude. Car sans les commentaires dont il accompagne chaque lettre, la lecture de cet ouvrage perdrait une grande partie de son intérêt. Hausmann replace chaque lettre dans son contexte, cite, s’il le faut, le courrier auquel Curtius répond, cerne les enjeux de l’échange (qui ont dicté son choix).
Il introduit l’ouvrage, le structure en périodes chronologiques significatives, l’assortit de documents, d’un tableau biographique, d’un répertoire où il indique les archives où il a trouvé ces lettres (au prix de quel travail!), dresse la liste des correspondants et livre une riche bibliographie de l’oeuvre de Curtius et de la littérature critique le concernant. Un travail méticuleux d’orfèvre.»

Gilbert Merlio auf perspectiva.net

»Hausmanns Betreuung der Leser lässt in der Tat nichts zu wünschen übrig: jeder Brief erhält einen ausführlichen regestartigen Kommentar mit genauen Informationen zur Überlieferung, mit philologisch und literaturgeschichtlich bewundernswert kundigen Verständnishilfen, ergänzenden Details und weiterführenden Hinweisen, dazu Übersetzungen der fremdsprachlichen Texte sowie einschlägigen Literaturangaben.
Die von Hausmann höchst sachverständig komponierte und vorbildlich erschlossene Auswahl der Briefe ERCs ist ein kostbarer Schatz, informativ und lehrreich für die Fachwelt im engeren Sinne, anspornend und stärkend für alle bekennenden Lateiner, denkwürdig für Anhänger oder Verteidiger der europäischen Kultur, historisch aufklärend und menschlich in vielem anrührend.«

Fidel Rädle in Mittellateinisches Jahrbuch 53,2 (2018), Seiten 313-317.

Mehr auch auf Perlentaucher

siehe auch:
Kosmopolis der Wissenschaft. E. R. Curtius und das Warburg Institute

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