SAECVLA SPIRITALIA   48

Marcus Andrew HURTTIG: Caravaggios Ungläubiger Thomas.
Eine ikonographische Untersuchung.
342 Seiten, 75 Abbildungen, davon eine farbig. 2014.

Caravaggios Ungläubiger Thomas, um 1602 in Rom gemalt, gehört zu den bekanntesten Bildschöpfungen des Künstlers. Trotz zahlreicher Einzelstudien fand eine systematische Analyse des Gemäldes unter typologischen und motivgeschichtlichen Gesichtspunkten mit dem Schwerpunkt auf die Malerei des 16. Jahrhunderts bislang noch nicht statt. Entsprechend gliedert sich die Forschungsarbeit in zwei Untersuchungsbereiche: Rekonstruktion der Schrift- und Bildtradition. Die zentrale Fragestellung lautet in diesem Zusammenhang, wie die taktile Untersuchung der Wunden Christi literarisch und bildnerisch für den Zeitraum vom Frühchristentum bis zur Gegenreformation umgesetzt wurde. Es kann konstatiert werden, dass in der exegetischen Kirchenliteratur der Berührungsvorgang meistens als Handlung nicht benannt oder beschönigend umschrieben wird. Dieser Euphemismus trifft auch auf die bildenden Künste zu.
Besonders in der italienischen Kunst des 16. Jahrhunderts wird als szenischer Zeitpunkt bevorzugt der Moment vor der Wundenberührung dargestellt. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Caravaggio mit einer vorherrschenden Heiligenauffassung für die Figur des Jüngers Thomas bricht. Indem Caravaggio den Berührungsvorgang als ein tiefes Eindringen des Zeigefingers in die Seitenwunde darstellt, greift er auf einen transalpinen Bildtypus des Mittelalters zurück, der um 1500 in Dürers Holzschnitt desselben Themas seinen Höhepunkt erreicht, und etabliert diesen zugleich zu einer populären Bildnorm für die Barockmalerei.

»[Der Autor] legt eine umfassende Untersuchung zu Carvaggios Ungläubigem Thomas (Bildergalerie von Sancouci, Potsdam) vor, die nicht nur durch technisches und historisches Detailwissen, sondern auch durch einen weiten geistigen Horizont des Verf. beeindruckt. Er lehnt sich dabei an das von Erwin Panofsky entwickelte System einer ikonographischen Analyse an: drei ineinandergreifende Arbeitsebenen des "Sachsinns", des "Bedeutungssinns" und des "Wesenssinns", um ein Kunstwerk zu bestimmen.
Dies geschieht in drei Großkapiteln. Kapitel I ("Der Ungläubige Thomas von Caravaggio in Potsdam") behandelt zunächst die Provenienz und Wertschätzung des Gemäldes im 19. Jahrhundert, sodann die Forschungsgeschichte und den technischen Befund, um sich danach in einer "Bildbeschreibung" und "Bildanalyse" dem Gegenstand selbst zu nähern. In Kapitel II ("Die Schrifttradition - Zur Schwierigkeit, die Tat der Wundenberührung zu benennen") zieht der Verf. Texte aus der exegetischen Literatur zur Analyse heran mit dem Ergebnis, dass einerseits "Christus in seiner Barmherzigkeit die Wunde des Unglaubens im Herzen des Thomas heilte", andererseits "Thomas an Gott glaubte, den er im Auferstehungskörper Christi weder sehen noch berühren konnte". (116) In Kapitel III ("Die Bildtradition - Zur Schwierigkeit, die Tat der Wundenberührung zu visualisieren") geht es u. a. darum, in welcher Weise die Bild- und Darstellungstypen mit der literarischen Überlieferung korrespondieren. Der Verf. zieht dafür eine Menge an Vergleichsmaterial in der italienischen und niederländischen Kunst heran.
Zwei Exkurse ("Zur Wirkungsgeschichte des Ungläubigen Thomas von Caravaggio im 17. Jahrhundert, 249-266) und "Zur Bedeutung von Caravaggios Ungläubigem Thomas für drei römische Altarbilder des 17. Jahrhunderts, 267-280), dazu ein "Tabellarischer Überblick zu den Kopien nach Caravaggios Ungläubigem Thomas" (281-287), ein umfangreiches Literaturverzeichnis (289-321) und Bildnachweise ergänzen die imposante Studie, die sicherlich in der Forschung einen positiven Widerhall finden wird.«

Hermann Jung in Bibliographie zur Symbolik, Ikonographie Mythologie 47/2014, Nummer 165.

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