SAECVLA SPIRITALIA   33

Werner MÜLLER / Norbert QUIEN: Von deutscher Sondergotik. Architekturphotographie, Computergraphik, Deutung. 1997. 240 Seiten, 117 Tafeln.

»Deutsche Sondergotik« war der Titel eines seinerzeit vielbeachteten Werkes von Kurt Gerstenberg über deutsche spätgotische Baukunst. Die damals auch von anderen Autoren vertretene Grundthese des Verfassers, es handele sich hier um eine Art von Ausdruckskunst, ist über ein Dreivierteljahrhundert bis heute wirksam geblieben. Im vorliegenden Band stehen dagegen die zeitgenössischen Entwurfsverfahren in Vordergrund und werden vermittels Architekturphotographie und Computergraphik für den Leser nachvollziehbar gemacht. Interpretationsgrundlage ist nicht mehr ein angeblich die germanische Rasse auszeichnender Irrationalismus. Der völkischen Kunstgeschichtsschreibung, die von den expressiven Visionen und romantischer Sehnsucht als vorgeblichen Konstanten deutschen Wesens ausging, wird eine kulturwissenschaftlich begründete Architekturgeschichte im Sinne Aby M. Warburgs und Erwin Panofskys gegenübergestellt.
In der vorliegende Arbeit geht es um kunstwissenschaftliche Deutungen einer Sonderentwicklung spätgotischer Baukunst, um Werke, die vor allem in Österreich, Böhmen und Obersachsen angetroffen werden. Die hierfür entwickelten Interpretationsmodelle entstanden in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts und beschränken sich im wesentlichen auf die Feststellung von Ausdruckswerten, die dem Betrachter im unmittelbaren Erleben zugänglich sind.
Es geht ausserdem darum, Martin Warnkes »Überleitung zur Form« in einem speziellen und begrenzten Bereich von Werken zu erproben, indem das mit diesem Schlagwort belegte, ursprünglich sozial- und gesellschaftsgeschichtlich formulierte Problem ins Technologische erweitert wird. Es soll gezeigt werden, dass Technikgeschichte für die Kunstgeschichte mehr sein kann als eine Hilfswissenschaft, denn bei diesem Vorgehen wird die Formebene des kunstwissenschaftlichen Gegenstandes auf konkret nachvollziehbare Weise erreicht.
Mit 117 Architekturphotographien, Zeichnungen, Graphiken, Bildern und Modellen, sowie mit Orts- und Personenregister.

»Werner Müller und Norbert Quien führen mit ihrem Buch einen Feldzug gegen die seit der expressionistischen Kunstgeschichtsschreibung etablierte Deutung der deutschen Spätgotik als Ausdruckskunst. Dieser Angriff kommt nicht überraschend, denn seit gut 25 Jahren kämpft Werner Müller für eine rationale Sicht auf diese Epoche, gestützt auf konstruktionsgeschichtliche Untersuchung der figurierten Rippengewölbe.«
Norbert Nußbaum in Journal für Kunstgeschichte 3, 1999, Heft 1, Seiten 14 ff

Beispiele dieser Sondergotik genannten spätgotischen Baukunst finden sich in den Studien zur deutschen Kunstgeschichte,
hier vor allem Burkhardt: Jacob Haylmann, Band 362

Zur Architektur siehe VITRUV: Zehn Bücher über Architektur.

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